Gegenrechtsschutz

Jede Klage Zählt!

Rechtsmissbrauch hat viele Gesichter. Dem geflüchteten Kind wird ein Kindergartenplatz verwehrt. Eine linke Journalistin wird wegen Verleumdung verklagt. Das Kulturzentrum wird geschlossen. Die Behörde verbietet die antifaschistische Demo. All das kann rechtswidrig und missbräuchlich sein.

Es ist wichtig, dies auch juristisch zu überprüfen. Ein schlechtes Bauchgefühl reicht. Denn: Jeder Einzelfall zählt!

Der Gegenrechtsschutz unterstützt Sie dabei, sich zur Wehr zu setzen. Wir unterstützen Sie, vermitteln anwaltliche Hilfe und übernehmen die rechtlichen Kosten.

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Missbräuchliche Abmahnungen

„Im ersten Moment war ich einfach nur überfordert”

Rechte Akteur:innen setzen vermehrt auf Abmahnungen, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Mit dem Gegenrechtsschutz stärken wir Betroffene. Hier erzählen sie, warum juristische Gegenwehr notwendig ist.

Noch nie hatte sich Sahak Ibrahimkhil in einem juristischen Streit befunden. Bis zum Januar 2023, als er ein Foto, das bereits mehrere Jahre im Internet kursierte erneut auf Twitter postete und kommentierte. Das Bild zeigt unter anderem den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen und den rechtspopulistischen Publizist Roland Tichy.

Wenige Wochen später bekam Ibrahimkhil per Post zwei Abmahnungen – eine vom Rechtsanwalt von Tichy und eine von den Rechtsanwälten von Maaßen. Er solle den Post löschen und sich strafbewehrt verpflichten, das Bild und seine Kommentare nie wieder zu verbreiten. Außerdem verlangten die Anwälte, dass Ibrahimkhil für die beiden Schreiben entstandenen Kosten erstattet. „Im ersten Moment war ich einfach nur überfordert,“ erzählt Ibrahimkhil. „Ich kenne mich mit Abmahnungen nicht aus und als ich die riesigen Summen gesehen habe, hatte ich Angst.“

Ibrahimkhil ist einer von vielen Betroffenen eines sogenannten SLAPPs. Die Abkürzung SLAPP steht für „Strategic Lawsuit against Public Participation“, also strategisch eingesetztes juristisches Vorgehen, das einschüchtern und so geäußerte Kritik aus dem öffentlichen Raum verbannen soll. Diese Strategie scheint besonders unter politisch rechten Akteur:innen weit verbreitet.

Abmahnungen von rechts deutlich gestiegen

Eine aktuelle Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) kommt zu dem Ergebnis, dass seit 2015 die Zahl der Abmahnungen von rechts deutlich gestiegen sind. Mehr als drei Viertel der Betroffenen, die sich gegen eine Abmahnung nicht juristisch gewehrt haben, führen dafür finanzielle Gründe an.

Als ersten Schritt suchte Ibrahimkhil dort Hilfe, wo der Rechtsstreit begonnen hatte: auf Twitter. In einem Post berichtete er von den Abmahnschreiben und fragte nach Rat. Ibrahimkhil erhielt viele Nachrichten, die ihm Mut zusprachen, aber auch konkrete Angebote für finanzielle wie juristische Unterstützung.

Eins dieser konkreten Hilfsangebote kam vom Gegenrechtsschutz – einem Rechtshilfefonds von FragDenStaat, den wir heute launchen. Ibrahimkhil war der erste, der durch den Gegenrechtsschutz beraten wurde und einen kostenlosen Anwalt gestellt bekommen hat.

Hohe Summen, die einschüchtern sollen

„Es ist wichtig, dass Menschen das Gefühl haben, dass sie sich wehren können. Viele meiner Mandanten, die das erste Mal mit einer kostenpflichtigen Abmahnung konfrontiert sind, sind komplett fertig mit den Nerven“, sagt Rechtsanwalt Christian Löffelmacher. Er hat bereits einige Betroffene von SLAPPs betreut – auch Sahak Ibrahimkhil. Diese Abmahnungen treffen ihm zufolge vor allem Menschen in weniger mächtigen Positionen. Deshalb sei ein Rechtshilfefonds wie der Gegenrechtsschutz umso wichtiger.

Wer eine Abmahnung bekommt, hat nur wenige Tage Zeit, um darauf zu reagieren. Innerhalb dieser Frist kann man die Abmahnung entweder akzeptieren und unterzeichnen, dass man die Aussagen zurücknimmt, die Anwaltskosten der Gegenseite bezahlt und gegebenenfalls eine Gegendarstellung veröffentlicht. Oder man wählt den steinigen Weg, bleibt bei der eigenen Aussage und zieht im juristischen Streit weiter – meist vor Gericht.

Bisher gab es keine Stelle, an die sich Betroffene wenden konnten. Diese Lücke versucht der Gegenrechtsschutz zu schließen.

Kämpfen für andere

Wer eine Abmahnung erhält, sieht sich auf den ersten Blick vor allem mit immensen Kosten konfrontiert. So erging es auch Bjeen Alhassan. „Als ich die Summe gelesen habe, konnte ich nicht mehr atmen“, beschreibt sie die Situation, als sie das Abmahnungsschreiben öffnete. „Was sonst in dem Brief stand, habe ich nicht wirklich verstanden.“ Eine Kollegin riet ihr dazu, die Abmahnung zu unterschreiben. Alhassan betont aber: „Das kam für mich nicht in Frage. Ich habe einen Krieg in Syrien, wo es keine Meinungsfreiheit gibt, hinter mir und werde mich sicher nicht in Deutschland auch noch mundtot machen lassen.“

Bjeen Alhassan ist Gründerin & Geschäftsführerin des Vereins Transfer of Knowledge TOK. In der NDR-Talkshow deep und deutlich berichete sie im Oktober 2020 über ihre Diskriminierungserfahrung an ihrer Hochschule. Den Namen ihres Professors nannte sie nicht. Dennoch mahnte er sie daraufhin ab.

„Ich wollte kämpfen, damit sich auch andere Frauen mit Fluchtgeschichte trauen, davon zu erzählen, wenn sie diskriminiert werden“, sagt Alhassan. Über Empfehlung fand sie einen Anwalt. Die Kosten dafür wurden über Spenden gedeckt. „Hätte ich direkt über eine Stelle gewusst, an die ich mich wenden könnte, hätte mir das viel Stress, Angst und Schlafmangel erspart.“ Umso wichtiger findet sie den Gegenrechtssschutz.

Zusätzlicher Stress im stressigen Alltag

Ende Mai 2023 verliert die Dozentin Bahar Aslan nach einem kritischen Tweet ihren Lehrauftrag an der Polizeihochschule NRW. Dies bewog den Studenten Leo Schneider dazu, zu rechten Kräften in der Polizei zu recherchieren. Dabei stieß er unter anderem auf mehrere Recherchen von FragDenStaat, Ippen Investigativ und dem NDR zu einem Professor der Bundespolizei mit weitreichender rechter Vergangenheit. Schneider verfasste einen Twitter-Thread, in dem er verschiedene Punkte aus diesen Recherchen zusammenfasste. Zwei Tage später hielt er eine Abmahnung in der Hand.

„Im ersten Moment wollte ich lachen, da ich es nicht wahrhaben wollte", erzählt Schneider. „Im zweiten Moment kamen die Sorgen und Angst, vor allem darüber, wie ich die hohe Summe bezahlen sollte.“ Auch Schneider suchte Hilfe über einen Twitterpost. Wir haben uns bei ihm gemeldet und ihm die Hilfe des Gegenrechtsschutz angeboten.

Abmahnungen schüchtern angesichts der drohenden Kosten enorm ein, zugleich lösen sie bei den Empfänger:innen meist noch weitere Belastungen aus. In der Regel sollen sie innerhalb weniger Tage reagieren. „Es ist ein extremer Stress in einem schon stressigen Alltag“, erzählt Schneider. „Ich musste schnell reagieren, entscheiden und für jene, die mich unterstützten, erreichbar sein.“ Der Gegenrechtsschutz unterstützt ihn jetzt bei dieser juristischen Auseinandersetzung.

Wenn wir verlieren, könnte es uns ruinieren

Nicht nur Personen des öffentlichen Lebens, auch Journalist:innen sind immer wieder betroffen von missbräuchlichen Abmahnungen und SLAPP-Verfahren. So wie die Journalistin Anna Hunger, die eine Recherche zur AfD veröffentlichte. Bereits als sie den Text schrieb, ahnte sie, dass er genau gelesen würde. Als der Abmahnbescheid tatsächlich kam, ging dies dennoch nicht spurlos an ihr vorbei. „Mir war mulmig, als mir klar wurde, dass es uns ruinieren könnte, wenn wir verlieren.“

Die Wochenzeitung Kontext:, in der Hungers Recherche erschien, wird von einem gemeinnützigen Verein herausgegeben und finanziert sich größtenteils über Spenden. Das Geld für einen Rechtsstreit in sechsstelliger Höhe hatte das gemeinnützige Projekt nicht auf der hohen Kante. Nach Erhalt der Abmahnung ging die Redaktion damit an die Öffentlichkeit, informierte über die Einschüchterungsversuche und die Höhe der zu erwartenden Kosten. Der Zuspruch sowie die moralische und finanzielle Unterstützung waren riesig. Der Rechtsstreit ist noch nicht beendet.

„Wir standen als Redaktion gemeinsam hinter der Veröffentlichung“, sagt Hunger. Sie befürchtet jedoch, dass solche Abmahnungen freie Journalist:innen noch deutlich schwerer treffen. „Wenn es einen Rechtshilfefonds für freie Kollegen und Kolleginnen gibt, dann könnten sie mit einem sicheren Gefühl über rechts recherchieren und berichten.“

Selbstvertrauen gewinnen

Betroffene von SLAPPs zu unterstützen, bedeutet nicht nur, ihnen die finanzielle Last zu nehmen, sondern auch den Mut wiederzugeben, Missstände weiterhin öffentlich zu machen.

Leo Schneider berichtet, dass er zwar mit größerer Vorsicht auf Twitter poste, jedoch auf keinen Fall damit aufhören würde. Auch Sahak Ibrahimkhil ist nicht verstummt, sondern wiegt jedes Wort stärker ab. „Ich habe sehr viel Selbstvertrauen gewonnen“, sagt Ibrahimkhil. „Einerseits durch den Support über die Social-Media-Kanäle, aber auch den Gegenrechtsschutz.“

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Sahak Ibrahimkhil
Sahak Ibrahimkhil

„Ich kenne mich mit Abmahnungen nicht aus und als ich die riesigen Summen gesehen habe, hatte ich Angst.“

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Autor*innen: Vera Deleja-Hotko
Erscheinungsdatum: 20-06-2024 00:00

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